Sunday 16 December 2012

022 | SCHERENSCHNABEL VOM TOURISMUS BEDROHT

22
SCHERENSCHNABEL VOM TOURISMUS BEDROHT 

Stefan Rust 2012 
Foto: Klaus Tiede 

Es ist spannend, ein Ausflugsboot beladen mit Gästen aus aller Welt wird vom Bootskapitän auf eine Sandbank gesteuert, den Gästen die Gelegenheit zu bieten die auf der Insel weidenden Elefanten aus bestmöglichster Nähe zu betrachten, zu fotografieren und zu filmen. Ein ehrfürchtiges Raunen geht durch die Menge beim Betrachten dieser afrikanischen Riesen. Doch außer mir hat niemand ein weiteres vom auf die Sandbank auffahrenden Boot aufgeschrecktes Tier bemerkt, ein vom Stellenwert der Häufigkeit des Vorkommens betrachtet sehr seltenes und somit von bedeutender Wichtigkeit. Wegen seiner geringen Größe, im Vergleich zu den fast unübersehbaren Elefanten, ist dieses Tier nicht bemerkt worden. Doch dem aufmerksamen Beobachter und Naturfreund entgeht dieses elegante Tier nicht. Beim Anlegen des Bootes auf der Sandbank ist ein Pärchen des 39 cm kleinen Scherenschnabel (African Skimmer / Rynchops flavirostris) von ihrem Nest vertrieben worden, gestört sind sie aufgeflogen. Die Seltenheit und deswegen Aufmerksamkeit der Wissenschaft und hoffentlich auch demnächst von der Bevölkerung und Besucher erlangt diese Vogelart weil sie als bedrohte Art eingestuft ist. 
Während weiterhin alle Aufmerksamkeit der Gäste auf dem Boot den Elefanten gilt, obwohl diese nun schon zum wievielten Male während dieser Reise durch das südliche Afrika gesehen wurden, fliegen diese beiden Scherenschnäbel zeternd um das Boot um diesen “Feind” von ihrer Brut zu vertreiben, weil ihre Eier bei einer zu langen Abwesenheit der elterlichen Körperwärme abkühlen. Damit wäre die Mühe dieses Elternpaares umsonst und eine weitere so wichtige Nachzucht dieser ohnehin schon bedrohten Art getötet. Doch dieser “Feind” (Störenfried) lässt sich nicht von solch einem kleinen “zickenden” Tier beeindrucken und erst recht nicht vertreiben und unverrichteter Dinge lassen sie sich erschöpft in sicherer Entfernung auf der Insel nieder, lassen noch ein paar letzte verzweifelt klingende kik-kik-kik Rufe verlauten. Aber auch diese Rufe verklingen wirkungslos. Was mögen diese Rufe wohl bedeutet haben, mag es vielleicht das gewesen sein was bei uns Menschen ein Schluchzen oder gar heulen ist wenn unseren Kindern etwas zustößt und wir tatenlos zuschauen müssen?
Vielleicht mag der eine oder andere denken, warum brütet der Scherenschnabel auch ausgerechnet auf dieser Insel und dann auch noch auf einer der seltenen Sandbänke? Er kann doch irgendwo anders brüten.
Diese bedrohte intra afrikanische Zugvogelart brütet auf Sandbänken in Flussnähe und bevorzugt auf Inseln weil nur dieses Habitat seinen Lebensansprüchen entspricht. Unter Anderem sind sie auf den Inseln vor einem Grossteil ihrer Feinde geschützt. Aber es sind diese Ansprüche die im Konflikt mit demselbigen vom Tourismus stark frequentierten Gebiet stehen. Ausgerechnet herrscht in diesem vom Scherenschnabel benötigtem Lebens- und vor allem Bruthabitat ein reger Tourismusverkehr, bei unserem Beispiel ein reger Bootsverkehr in Form von Bootsafaris.
Bis im Jahre 1943 brütete diese hoch spezialisierte Vogelart am St. Lucia See und heute gilt der Scherenschnabel als stellenweise im südlichen Afrika als ausgestorbener Brutvogel.
Grosse Flusssysteme und Seen mit vegetationslosen Sandbänken und Inseln sind geeignete Lebensgebiete in denen er sich hier im südlichen Afrika in den Monaten Mai bis Dezember aufhält und immer seltener zur Brut nutzt.
Von Mai bis Dezember sind in diesem Gebiet täglich im Durchschnitt 16 Boote unterwegs die alle mehr oder weniger dieselbe Route fahren und dieselben wenig vorhandenen Sandbänke anfahren. Die Errichtung mindestens zwei weiterer Lodges liegt allein für dieses Jahr an, was bedeutet dass die Anzahl der Bootsfahrten mit etwa 6 somit auf insgesamt etwa 22 erhöht wird. Da nicht alle 16, zukünftig dann 22, Boote gleichzeitig am selben Ort sind, bedeutet dies, dass die auf den schmalen Sandbänken brütenden und rastenden Scherenschnäbel etwa 22 Mal pro Tag während ihrer Tätigkeiten an Land (Paarung, Brut, Aufzucht der Küken, Rast, Gefiederpflege) gestört werden. Insbesondere hat dieser Störfaktor zur Brut- und Aufzuchtzeit fatale Folgen und kann zum Sterben der Küken führen. Die Bootsfahrten finden nämlich konzentriert am frühen Vormittag und späteren Nachmittag statt, also während der Tageszeiten bei denen die Temperaturen den Scherenschnäbeln ein warm halten der Eier und Küken fordert.
Dieser Konflikt zwischen der für ein Drittweltland überlebenswichtigen Tourismusindustrie und des ebenso wichtigen Naturschutz (Artenschutz) wäre unter einen Hut zu bringen wenn dieses Land allen Gästeführern, egal in welcher Form, den Stempel des nachhaltigen Tourismus auflegen würde. Dies bestünde in einem von höheren Instanzen erstellten von den Gästeführern zu befolgenden Verhaltenskodex gegenüber Fauna und Flora, egal bei großer oder kleiner Art. Dies verpflichtet Gästeführer die Biologie und das Verhalten der betroffenen Fauna und Flora zu kennen und die Gäste dementsprechend respekt- und rücksichtsvoll an die Fauna und Flora ranzuführen. In unserem Fall muss der Bootsführer informiert sein dass es sich zu dieser Jahreszeit um die Brut beim Scherenschnabel handelt, er muss über das Brutverhalten und über die von dieser Tierart beanspruchten Brutplätze informiert sein und des Weiteren über den Erhaltungsstatus dieser Art, nämlich als gefährdet. Demzufolge ist der Bootsfahrer aufmerksam, nimmt das Scherenschnabelpärchen wahr und macht seine Gäste auch auf dieses Tier aufmerksam, erklärt ihnen diesen hübschen Vogel, erläutert das Verhalten und wie es um dieses interessante Tier bestellt ist. Hiermit hat er also auf eine geschickte Art und Weise dem Publikum erklärt warum er nicht mit dem Bug seines Bootes auf die Sandbank auffährt nur um die bestmögliche Nähe zu den Elefanten zu erlangen. Als zusätzlichen Bonuspunkt hat er die Sympathie der von ihm geführten Gruppe bekommen was sich nicht nur in einem möglichen Tippgeld sondern auch in einem guten Ruf nicht nur für ihn sondern auch der jeweiligen Lodge (Anbieters) widerspiegelt. Der heutige moderne Gast (Reisende) ist nämlich nicht mehr nur darauf aus um über biegen oder brechen sein Anliegen, zum Beispiel rücksichtslos so nah wie möglich an ein bestimmtes Tier zu gelangen um die bestmögliche Aufnahme zu tätigen, durchzusetzen. Gast ist heutzutage zum Glück sehr auf Natur- und Artenschutz bedacht und schätzt und lobt ein wie zum Beispiel zuvor beschriebenes Verhalten seitens des verantwortungsvollen Gästeführers mehr als die von mir geschilderte gegenteilige Situation und er möglicherweise im Nachhinein erfahren würde dass er durch seine Teilnahme an dieser Bootsfahrt indirekt die Zerstörung dieser gefährdeten Art unterstützt hat. Des Weiteren kann insofern zum Artenerhalt beigetragen werden indem der Naturschutz mit dem zuständigen Ministerium, und mit Sicherheit lassen sich einige nutznießende Lodges oder Anbieter begeistern, künstliche für die Scherenschnäbel geeignete Brutinseln mit Sandstränden errichten. Es wäre sogar zu erwägen solch ein Projekt für die in diesem Gebiet tätigen Tourismusunternehmen verpflichtend zu machen weil die Natur im umliegenden Nationalpark wegen einer katastrophal hohen Elefantenpopulation dermaßen kaputt gewirtschaftet wurde was wiederum eine Boden zerstörende Erosion mit sich führt und unweigerlich die Natur auf dieser Insel nachteilig beeinflusst. Bei solch einem Projekt könnten in sicherer Entfernung Beobachtungsplätze errichtet werden wo dem Besucher und Forscher Gelegenheit zur Beobachtung und Erforschung dieser seltenen Scherenschnäbel geboten wird. Dies könnte eine zusätzliche Einnahmequelle bewirken und wäre eine effektive Werbemöglichkeit. Ein vorbildliches Projekt in diesem Zusammenhang ist die künstliche Flamingo Insel im Kamfers Damm bei Kimberley.
Der leidenschaftliche Gästeführer wird die verpflichtende Nutzung des Verhaltenskodex nicht als Bürde betrachten sondern als ein Hilfsmittel dieses Besucher lockenden Juwels, die Tierwelt und letztendlich auch die Flora, zu erhalten und zu fördern. Es ist eine ganz einfache Rechnung: Die Bemühungen der zuständigen Behörden und aller Beteiligten im Naturschutz und Tourismus zum Erhalt der Fauna und Flora stellt ein Land in ein gutes Licht und lockt deshalb und wegen einer intakten Natur mit glücklichen Tieren viele Gäste an die glücklich wegen vieler interessanter Beobachtungen und Naturschutzeindrücken das Land verlassen und wieder kommen und zudem das Land an weitere Menschen positiv über Mund zu Mund Propaganda vermarkten. Dies wiederum bewirkt eine erfolgreiche Tourismuswirtschaft für das betroffene Land und schafft und sichert Arbeitsplätze. Wer dies nicht versteht oder aus welch einem Grund nicht verstehen möchte dürfte nicht in dieser verantwortungsvollen Branche des Tourismus und Naturschutz tätig sein. 

Erst als die Elefantenherde dem Boot gefährlich nahe gekommen ist und die Leitkuh drohend mit den Ohren schlackert und sich die Gäste erschrecken, macht der Bootsführer Anstalten zum Rückzug und zur Abfahrt. 
Wann wird die Zeit gekommen sein in der Mensch auch die wichtigen Kleintiere wahrnimmt und auf ihre Anliegen beginnt zu achten? Denn wie in der Elefantenherde sich befindenden Kälber handelte es sich bei den rücksichtslos verscheuchten Scherenschnäbeln auch um Nachzucht, in diesem Fall sogar bedrohter Nachzucht. Wer weiß ob die Eier während unseres Aufenthaltes durch die Abwesenheit der elterlichen Körperwärme nicht schon zu sehr abgekühlt sind?

No comments:

Post a Comment